Schritt für Schritt in ein neues Leben – Pilgerreise Maria Zell

Schritt für Schritt in ein neues Leben – Pilgerreise Maria Zell

DISCLAIMERPilgern ist so alt wie die Menschheit selbst. Es hat seinen Platz in jeder Religion und auch in der ewigen Suche nach dem Sinn des Lebens. Man muss also nicht aus religiösen Gründen pilgern, sondern es kann auch einfach als Ventil oder Bewältigungstaktik genutzt werden. 

Wenn man lange krank ist, dann beginnt man an seinem Können zu zweifeln. Denn man ist meistens an die Geborgenheit und Annehmlichkeiten der eigenen vier Wände gebunden. In meinem Fall waren es vier Jahre in denen ich in meiner Lebensführung sehr stark eingeschränkt war. Daher war es für mich umso großartiger und regelrecht befreiend, als ich mit einem sehr guten Freund meine erste Weitstreckenwanderung geplant habe. Ich hatte riesige Zweifel und auch Angst, dass ich’s nicht schaffen würde. Obwohl ich sehr diszipliniert lebe – auf Ernährung und viel Bewegung achte – bin ich nicht so leistungsfähig wie „normale“ Leute. Aber meine Zuversicht wuchs nach und nach mit jedem Meilenstein der Planung. Durch Glück haben wir auf den Hütten noch Schlafplätze bekommen. Dann fügte sich eins nach dem anderen zusammen wie in einem Puzzle. Nach meiner Prüfung ging es auf auf an den Bahnhof Wien Meidling wo unsere gemeinsame Reise begann.

Erste Etappe – Freitag 
Mit dem Zug von Wien Meidling nach Puchberg am Schneeberg – Berggasthof Mamauwiese

Um etwa 17.00 in Puchberg am Schneeberg angekommen sattelten wir die Hühner und folgten einfach immer den Wegweisern Richtung Mamauwiese. Hier ist der Weg sehr übersichtlich ausgeschildert.
Über wunderschöne Sommerwiesen begleiteten uns die klimpernden Kuhglocken während wir die frische klare Bergluft genossen. Kleine Marterl am Wegesrand zeigen, dass man auf einem Pilgerweg unterwegs ist. Der Aufstieg zum Berggasthof Mamauwiese ist gemütlich. Es gibt steilere Passagen auf der Strecke, aber alles in allem geht man sehr schön auf einem breiten geschotterten Weg mit mäßiger Steigung bergan.
Mein Highlight am Weg – man muss einen kleinen Bach überqueren bevor man die letzten Meter zum Quartier hinter sich bringen kann. Dort tummelten sich kleine schwarze und braune Kaulquappen, die auf den Startschuss für ihre aufregende Evolution warten.

 

 

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Das Schneebergland empfing uns mit offenen Armen und die lieben Wirte auf dem Berggasthof Mamauwiese haben extra den Koch für uns länger dagelassen, damit wir noch etwas Warmes zu essen bekommen konnten. Das Essen war sehr gut und das Quartier sauber und gemütlich. Es gibt dort ein Gemeinschaftsbad und auch die WCs befinden sich am Gang.
Da ich in Wien in einer sehr belebten Gegend wohne, bin ich es gewohnt, dass die Stadt nie schläft. Sie rumort stets und eine gewisse Grundhelligkeit lässt sich nur mit guten Jalousien aussperren. Ein krasser Kontrast dazu war es in absoluter Stille und Dunkelheit in der Hütte zu übernachten. Habt ihr schon mal euren Herzschlag bewusst hören können, weil euer Umfeld so still war? Ich zuvor noch nie.
Das Frühstück war auch sehr ausreichend und es war für jeden Geschmack etwas dabei. Müsli, Semmerl mit Wurst und Käse sowie Obst und verschiedene Getränke. Diese Unterkunft kann ich nur herzlich weiterempfehlen.

Zweite Etappe – Samstag
Berggasthof Mamauwiese bis Schwarzau im Gebirge

Der zweite Tag unserer Reise stand unter dem Motto „Irrungen und Wirrungen“, denn der Weg war leider sehr schlecht ausgeschildert und wir haben uns zwei mal verirrt. Vor allem in der Weltmetropole VOIS hat es uns weit vom richtigen Weg verschlagen… Da war der Wegweiser leider beschädigt und deutete entlang der Straße… Aber eigentlich hätten wir den ungemähten Hügel raufgehen müssen… GEHT UNBEDINGT ENTLANG DES HUBERTUSHOFES WEITER! AUCH WENN DIE WIESE UNGEMÄHT IST!

MÜHSAM… Aber so ist es nun mal im Leben. Es geht nicht immer gemütlich gerade aus, manchmal verliert man sich, irrt umher und steckt Energien in Lebenswege, die zu erfüllen einem nicht bestimmt sind.

Ich weiß wovon ich spreche. Als ich meine Matura fertig hatte, dachte ich, dass ich die Welt erobern könnte. Das war übermütig – die alten Griechen nannten das Hybris, Hochmut. Ich wurde krank, meine sogenannten Freunde ließen mich mit meinen unglamourösen  Durchfällen und meinen plagenden Schmerzen allein. Nur wenige standen zu mir, als ich nicht mehr auf fancy Parties und superwichtigen Events auftauchte. Dann wurde ich fett und unsportlich. Außerdem befand ich mich in einer Beziehung, in der ich psychisch misshandelt wurde, mein Studium lief katastrophal schlecht und ich verletzte jeden, der mir auch nur ein wenig nahe kam. Mein Rückhalt waren meine starken lieben Eltern und einige ausgewählte Freunde.

Eines Tages bin ich aber ganz plötzlich aufgewacht. Ich habe mich in den Spiegel gesehen und mochte nichts mehr an mir. Aber anstatt mich weiter in Selbstmitleid zu suhlen hab ich begonnen mich zu disziplinieren – Sport – Essen – Beziehungen – Studium. Die Anfänge waren hart. Eine dramatische Trennung, keine Kekse mehr und mehr Schlaf um meine Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Als ich wieder zu mir selbst zurückkehrte war es ein Gefühl, wie wenn man beim Schnorcheln zu lange unter Wasser gewesen ist und mit letzter Kraft zur Oberfläche kommt und dann den ersten rettenden und heilsamen Zug Luft in die Lungen pumpt. Ich kam wieder in’s Leben zurück. Ich fand auf meinem Lebensweg aus meiner Sackgasse wieder heraus. Und genau wie am Weg nach Maria Zell habe ich das lieben Freunden und meinen getreuen Beratern, meinen Eltern, zu verdanken. Manchmal braucht man die Ermutigung anderer um die Sackgasse hinter sich zu lassen, umzudrehen und bei der nächsten Weggabelung etwas Neues auszuprobieren. Das ist nicht leicht. Aber in meinem Fall war es das wert. Unsere Irrwege haben mich viel zum Nachdenken angeregt. So sehr, dass ich gar nicht bemerkte, wie mir eine riesige Blase an der rechten Ferse das Leben „versüßte“. (Meine Schuhe waren über Nacht nicht 100%ig getrocknet geworden und zerrieben mir sogar die noch feuchten Socken,… haha xD) Auf unserem Weg erlebten wir Regen und strahlende Sonne. Zuletzt kamen wir in einen massiven Schütter. Aber wir waren am richtigen Weg nach Schwarzau und legten unsere Kilometer brav zurück. Kurz vor Ankunft platzte meine Blase an der Ferse. Ein Gefühl, auf welches ich sehr gerne verzichtet hätte. Aber ich war so voller Euphorie, dass wir auf den letzten zwei Kilometern sogar noch einen Abstecher zum lokalen Streichelzoo machten und ich ein Häschen streicheln konnte. Es sind solche kleinen Dinge, die einem wirklich den Tag versüßen können.

 

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Strahlend, aber müde, kamen wir bei der Rauracklwirtin in Schwarzau im Gebirge an. Und wurden dort dermaßen lieb verwöhnt! Die gute Wirtin hatte uns im Vorfeld direkt gefragt, was wir denn essen wollten. Mein Begleiter ist Vegetarier. Die Wirtin überraschte uns extrem weltoffen mit der Frage „Vegan oder vegetarisch?“ und wir waren gerührt von so viel Rücksicht. Das hat mal wieder gezeigt, dass man sich nicht auf Vorurteile stützen sollte. Nur weil wir in dem kleinen verschlafenen Ort unterwegs waren, hieß das nicht, dass dort alle weltfremd wären. Im Gegenteil, die Wirtin bekochte uns köstlich, ihre liebenswerten Enkelkinder halfen fleißig mit, und als wir frisch geduscht und in trockenem Gewand waren, erzählte sie uns bei göttlichem Zirbenschnaps aus ihrem bewegten Leben. Auch dieses Quartier kann ich nur wärmstes weiterempfehlen, denn allein die tollen Gespräche und der lecker würzige Zirbenschnaps sind es wert. Außerdem war es sehr sauber und es gab viel heißes Wasser zum Duschen. Und das ist nach 20km gehen Gold wert, glaubt mir.

Dritte Etappe – Sonntag
Schwarzau am Gebirge – Lahnsattel – Maria Zell

Am Morgen vom Sonntag erwartete uns beim Rauracklhof ein großartiges Frühstück. Die Wirtin bestand darauf, dass sie uns ein Stück des Weges mit dem Auto runter in die Ortschaft bringen würde, denn sie meinte, dass wir eh noch genug Weg vor uns hätten. Damit hatte sie voll und ganz recht. Ab dem bekannten Bacherlwirt schraubt sich der Weg viele Höhenmeter nach oben. Aber die wunderschöne Aussicht entlang des Weges entschädigt für die Mühen – freier Blick auf die Berge, im Sonnenlicht funkelnde Bäche und saftige Wiesen mit lieben Kühen und Pferden – entlang der Strecke fühlte ich mich oft wie in ein kitschiges Biedermeier Bild versetzt.

 

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Die steilste Strecke und die mühvollste Stunde des gesamten Weges war der Aufstieg zur Gschaidlhöhe. Dort haben mich auch mehrmals die Emotionen überwältigt.
Kein Ort, hat mich auf so einer speziellen Ebene berührt wie der Wald der Gnadentafeln auf der Gschaidlhöhe. Menschen bringen dort seit Jahrzehnten Tafeln mit, auf denen sie sich für ihre persönlichen Wunder bedanken, um Beistand bitten, ihren verstorbenen Liebsten gedenken und die Momente festhalten wollen, die unser irdisches Dasein nun mal ausmacht. Mehrmals bin ich in Tränen ausgebrochen und musste schluchzend inne halten, weil mich die Schicksale so berührten. Ein Gedanke manifestierte sich in meinem Kopf: Es ist vorbei. Du bist gesund und du kannst dein Leben jetzt so leben wie du es willst. Es ist vorbei. Du bist frei. Die Tatsache, dass ich meinen moppeligen QuadratA… bis dorthin durch eigene Kraft getragen hatte, dass MEIN Körper durchaus stark und leistungsfähig ist, die hat mich richtig in’s Gesicht geschlagen. Mir ist bewusst geworden welche Schmerzen ich oft ausgestanden hatte, wie stark ich sein kann, wenn ich muss. Und mich schlug die Realisation und die Angst in’s Gesicht, dass ich vielleicht mal wieder so stark sein müsste. Da hab ich für mich entschieden, dass ich jetzt gesund bleiben werde, dass ich Schritt für Schritt mein neues Leben annehmen und lieben lernen würde.

Als ich sowohl physisch als auch emotional über den Berg war, war ich ein neuer Mensch. Die Gschaidlhöhe und ihr Anstieg lagen hinter mir und vor mir ein schöner breiter Weg. Meine Fotos zeigen mich danach nurmehr versonnen lächelnd. Ich bin mit mir selbst in’s Reine gekommen und ich habe im Wald der Gnadentafeln einen Teil meiner Zweifel zurück gelassen.

 

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Von hier aus zog sich der Weg zum Lahnsattel. Ein Berggewitter begleitete uns grollend und blitzend und ich fröstelte vor Respekt vor diesen Naturgewalten. Es war sehr schnell aufgezogen und zehrte an meiner psychischen Ausdauer. Mit Eintreffen des Gewitters  spürte ich plötzlich das wütende Pochen der geplatzten Blase, die Erschöpfung meiner Glieder und die nagenden Zweifel. Ich war an meinem körperlichen Limit angekommen. Wir ließen den Pass hinter uns und im Dorf holte mich die Erschöpfung ein und spülte alle guten Vorsätze das Halltal auch noch zu schaffen hinweg. Es war vorbei. Im Nieselregen riefen wir den Bus und ließen uns ein Stück weit mitnehmen, da ich nichtmehr konnte. Das minderte die Freude über die Ankunft in Maria Zell keineswegs. Die letzten Meter realisierte ich, dass wir angekommen waren. Drei Tage, die so schnell vergangen waren… Einfach nur ein Fuß nach dem anderen… Es war vorbei. Die rosige Basilika erstreckte sich vor uns auf dem kolossalen Platz und mein Herz war ergriffen. Wir waren da.

 

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Mein Tipp für jeden, der mit sich selbst hadert ist, seine Grenzen auszutesten und seinen Emotionen freien Raum zu lassen. Dafür muss man nicht pilgern, oder gar wandern. Man kann das mit Sport ausleben oder mit Kunst. Man kann sich karitativ engagieren oder man kann für sich im stillen meditieren. Da muss jeder für sich sein Ventil finden. Aber was ich euch sagen kann ist, dass es sich auszahlt die damit verbundenen Mühen auf sich zu nehmen.

Meine Dankbarkeit gegenüber meiner Freu-milie ist unendlich, denn ohne ihren Rückhalt, … ich wüsste nicht wie es da während meiner Krankheit mit mir weitergegangen wäre. Ich hoffe euch mit meiner Liebe und meinen Taten zu ehren und euch alles Gute wieder zukommen zu lassen, das ihr mir gegeben habt. Den Menschen, denen ich Unrecht getan habe … denen habe ich in den Wochen seit meiner Reise Briefe oder E-Mails geschrieben, in denen ich mich entschuldige. Denn mehr, als dass sie es nicht annehmen, kann nicht passieren. Es tut mir vieles aufrichtig leid. Daher… Lieber eine Ablehnung, als ein loses Ende zurück lassen. Den Menschen, die MIR Unrecht getan haben möchte ich sagen, dass ich euch mittlerweile vergeben habe. Aber ich werde es nie vergessen. Es war mir eine Lektion, denn… Nach diesem Experiment ist mir vieles klar geworden – mein Lebensweg, meine Erfahrungen, meine Werte, meine Leidenschaften, meine Freunde und meine Familie machen mich zu der, die ich heute bin. Ich bin nicht perfekt. Aber ich mag mich wie ich bin und arbeite vehement an meinen Baustellen. Und das ist meiner Meinung nach, mal ein sehr guter Anfang.

In diesem Sinne… Lasst euch gesagt sein…

Heute ist der erste Tag, vom Rest eures Lebens,… Also nehmt es selbst in die Hand und macht das beste draus. Wenn ich das kann, dann könnt ihr das erst recht.

Alles Liebe,

Eure Katka

P.S. Ein herzliches Danke an meine großartige Begleitung auf diesem Weg. Er ist ein wahrer Freund und es bedeutet mir sehr viel, diesen Weg gemeinsam gegangen zu sein. Genauso großes Danke, an alle, die daran geglaubt haben, dass ich es schaffen kann, diese Strecke zu gehen.